Einleitung

Das hiesige Thema der Pflegekammer, sowie die minimale Bereitschaft für Berufspolitik ist bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland in der Pflege noch nicht abgeschlossen. Nach wie vor wird viel diskutiert, kritisiert und abgetan, wieso die Implementierung der Pflegekammern in den einzelnen Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland, sowie eine Bundespflegeklammer in der modernen Pflegeprofession unumgänglich ist.  

Vorweg, wer bin ich denn hier überhaupt, die so redet?

Meine Name ist Sabine Torgler, ich bin 51 Jahre alt, ich bin eine Overseas Registered Nurse und arbeite im NHS England / NHS Wales seit fast 22 Jahren. Ich habe in Deutschland meine Ausbildung sowie mein Studium absolviert, und habe als Krankenschwester im Rotes Kreuz Krankenhaus in Bremen gearbeitet. 

In 2003 ging meine Lebensreise nach England. Einen Schritt, den ich bis heute nicht bereue. Seit 22 Jahren arbeite ich als Registered Nurse und bin dementsprechend auch eine Kammermitglied, im Nursing and Midwifery Council (NMC) = Pflege- und Hebammenkammer.

Des Weiteren habe ich vor 12 Jahren ein internationales Pflegenetzwerk gegründet. Wir sind English for Nurses Ltd. Wir schreiben unsere eigenen Fachsprachkurse in Clinical English und unterrichten diese auch. Mittlerweile haben wir über 30 Kurse geschrieben und unterrichten alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Durch diese wunderbare Lehrtätigkeit hat sich eine große Netzwerktür geöffnet, denn wir sind in 12 EU Ländern Player. Machen auch Berufspolitik und teilen unsere Erfahrungen und unseren Schatz an Wissen, die wir als professionelle Pflegende hier in Großbritannien in all den Jahren sammeln durften. Meine Pflegewelt ist somit ziemlich bunt. Die Stationsarbeit (Kolorektal und Trauma Chirurgie) sowie das Lehren und Netzwerken gehen bei uns hand-in-hand. Und durch diese hiesige Netzwerkarbeit hat mich das tolle Team von Übergabe gefragt, ob ich aus UK berichten mag. Gefragt, getan. 

Hier bekommt Ihr nun einen Einblick von mir, was ein progressives Land wie Großbritannien mit mir als Krankenschwester zur Registered Nurse gemacht  = nämlich: viel! 

Right, let’s rock 🙂. 


Sabine Torgler
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Sabine Torgler schloss 1997 Ihre Ausbildung zur Krankenschwester in Bremen ab und absolvierte ein Studium im internationalen Pflegemanagement (1999-2003). Während des Studiums absolvierte sie ein Semester an der University of Sydney / Australien. Nach der Diplomprüfung in 2003 entschied sich Sabine nach Großbritannien auszuwandern. Die 52-jährige ist heute als Registered Nurse am Universitätsklinikum in Cardiff / NHS Wales tätig und arbeitet auf der Unfallchirurgie. 2013 gründete sie das internationale Pflegenetzwerk English for Nurses Ltd. Sie ist als Autorin und Dozentin für klinisches Fachenglisch tätig, sowie als Netzwerkerin in der europäischen Pflegeprofession. 

Mitgliedschaften:
- Nursing and Midwifery Council / UK
- Royal College of Nursing / UK
- Vorstandsmitglied European Nurse Directors Association ( ENDA) / Europa
- Bremische Schwesternschaft vom Roten Kreuz 

Was ist das Nursing and Midwifery Council UK - die Pflege- und Hebammenkammer? 

Um als Registered Nurse in Großbritannien arbeiten zu können, muss man in der Pflege-Hebammenkammer registriert sein, dem Nursing and Midwifery Council (NMC). Es ist eine Pflichtregistrierung. Es ist ein Selbstverständnis, dem man nachgehen muss. Man stellt die professionelle und berufliche Registrierung (Kammer) nicht in Frage, man unterstützt sie.

Das NMC wurde 1919 gegründet, eine Institution, die eine sehr sinnvolle und vor allem wichtige Einrichtung ist. Demnach hat Großbritannien eine Kammerhistorie von über 106 Jahren. Die britische Pflegeprofession ist ohne eine Pflegekammer undenkbar. Wir sind über 840.0000 Mitglieder (actually 841,367, NMC 2024). Davon sind wir Pflegenden die größte Berufsgruppe mit 778,340 und 45,198 Hebammen, sowie ca. 8.000 Mitglieder von weiteren Associates Healthcare Professions. Die Registrierungsanzahl ist steigend. Mehr und mehr Studentinnen und Studenten tragen sich für diese Studiengänge ein, Nursing and Midwifery is growing. 

In Großbritannien sind die beiden Professionen Pflege und Hebammenwisschenschaften in einer Berufskammer. Eine wirkliche Besonderheit, die auch für das britische Gesundheitssystem das sogenannte National Health Service (NHS, seit 1948 etabliert) Sinn macht. 

Mehr Mitglieder in einer Berufskammer zu haben, heißt auch mehr Power! Berufspolitisch steht unsere Berufskammer den beiden Gewerkschaften sehr nah. Für die Pflege gilt das Royal College of Nursing (1916 etabliert) und das Royal College of Midwifery (1882 etabliert). 

But , was macht denn nun die Pflegekammer für uns? Whaaaaattttt? 

Das Nursing and Midwifery Council (Pflege- und Hebammenkammer) fördert nicht nur unser professionelles Selbstverständnis, sondern schützt die britische Bevölkerung vor unsachgemäßer Pflege! Vor einer Pflege, die womöglich mit einer starken Gefährdung für die Gesellschaft einhergeht. That would be a NO GO!

Wer sich gegen eine Pflegekammer ausspricht, spricht sich gegen eine sichere, moderne und progressive Pflegeprofession aus!

Diese drei Körperschaften – Nursing and Midwifery Council, Royal College of Nursing, Royal College of Midwives -  stehen für professionelles Selbstverständnis ein, sowie die Autonomie der beiden Berufsstände. Des Weiteren stehen Sie auch für unsere politische Weiterbildung ein und für berufspolitischen Aktivismus. Sie vertreten uns Pflegende und Hebammen am sogenannten runden politischen Tisch in London. Unsere Gewerkschaftspräsident Mr. Bejoy Sebastian ist unser Vertreter und spricht und handelt in unseren Namen, was wir wollen, was wir fordern! Mit unserem Kammerpräsident Mr. Paul Rees steht Mr. Sebastian im ständigen Kontakt. Es ist ein starkes Miteinander dieser beiden Institutionen, denn wie auch in Deutschland, sind wir Pflegende die größte Berufsgruppe im Land. 

840.000 Mitglieder wollen gehört werden und müssen gehört werden. Wir haben eine Women-Men-People Power, die enorm ist. 

Wir haben ein gigantisches Fachwissen, denn wir sind durch die Berufskammer im ständigen professionellen Lernen eingebunden. Das Life-Long-Learning muss in der Pflegeprofession gelebt werden. Das erwartet die Kammer von uns. Das erwarten wir von uns. Ein kann-ich-nicht, gibt es nicht! Die erlernten Kompetenzen müssen aufgefrischt werden, einmal lernen = gibt es auch nicht. Denn die Evidenzen verändern sich, so auch unsere Praxis. 

21 Fortbildungen muss ich pro Jahr absolvieren, um mich u.a. jährlich als ordentliches Mitglied nennen zu dürfen. Zum größten Teil werden diese Fortbildungen als Dienstzeit berechnet, BUT einige von diesen Fortbildungen absolviere ich auch in meiner privaten Zeit. Auch das ist nicht strange für uns. 

We call it = being professional! Denn wie auch die Ärztinnen und Ärzte, Hebammen, Apothekerinnen und Apotheker, Therapeut:innen etc., sich in ihren private time fortbilden, so tun wir es auch. Es wird auch nicht hinterfragt, denn wir folgen unser Berufsordnung, dem Code of Conduct, in dem klar geschrieben ist, das wir up-to-date mit unserem evidenzbasierten Wissen sein müssen. Unsere Kammer, das NMC, fungiert somit auch als Kontrollinstanz, sie steht für die Qualitätssicherung.

Diese Fortbildungspflicht schützt uns Pflegenden und auch uns Hebammen, wie auch unsere Gesellschaft. Wenn man für eine Fortbildung eingetragen ist, ist es schwer für eine Leitung, diesen Platz mit einer Schicht zu besetzen. Das soll heißen, dass wir nicht oft vom Lernen für die Stationsarbeit abgezogen werden. Wäre das der Fall, dann kann ich mich für dieses Leitungsverhalten auch beschweren. Denn ich muss meinen jährlichen Fortbildungskatalog erfolgreich abarbeiten. 

In Großbritannien kann man in der Pflegepraxis nicht pausieren. Well, man kann es schon, aber das Zurückkommen ist nicht so easy. Die einzige Gruppe von Nurses, die mit einer sogenannten Auszeit geschützt sind, sind die werdenden Eltern. Die Elternzeit ist geschützt. Und das ist auch gut so. 
Verlässt man die Pflegepraxis und man möchte wieder in die Pflegepraxis einsteigen, dann muss die Pflegekammer dafür sorgen, dass aus der Nurse wieder eine Registered Nurse wird. 

Die Kollegin / der Kollege muss an Modulen teilnehmen, die Return to Nursing heißen. Diese Module laufen über unsere Universitäten, die auch streng von der Pflegekammer überwacht werden. Die Registered Nurse hat somit die Aufgabe, sich selber auf den neuesten Stand im Pflegewissen zu bringen. Neue Kompetenzen werden erreicht, alte werden wieder aufgefrischt. Die 21 Pflichtfortbildungen müssen auch abgearbeitet werden. Im Skill Lab der Uni wird geübt, praktiziert und geprüft, sowie im Hörsaal. Dieser ganze Vorgang wird streng von der Pflegekammer begleitet und überwacht. Werden die Module erfolgreich abgeschlossen, dann kann sich die Nurse wieder bei der Pflegekammer eingliedern lassen. Alle Hochschuldokumente der Module im Return to Nursing müssen dann die Nurses selber einreichen, welche dann von der Pflegekammer geprüft werden. Hat man alles nachgewiesen, was man nachweisen muss, erhält man den Titel Registered Nurse Level 1, die alte PIN wieder dann wieder re-aktiviert und man darf pflegen. 

Da fallen mir spontan Prof. Frank Weidner’s Worte ein: Pflege darf nur, wer Pflege kann. Ja, diesen Satz lebt die britische Pflegeprofession. 

Seit 2015 gilt sogar der sogenannte Revalidationsprozess. Alle drei Jahre muss ich ein Portfolio anfertigen und dem NMC zusenden. Meine nächste Revalidation steht in kommenden Jahr an, in 2026. 

Was heißt Revalidation in Nursing? 

Zum einen muss ich tabellarisch aufführen, wo ich als Registered Nurse in den vergangenen drei Jahren praktisch gearbeitet habe. Zum anderen sind acht konkrete Situationen zu schildern, in denen ich mich als Registered Nurse herausgefordert gefühlt habe. Hier geht es um die Reflexion des eigenen beruflichen Handelns. Darüber hinaus sind acht Situationen aufzuzeigen, in denen ich Lob oder Kritik erfahren habe – sei es durch andere Pflegende, durch Kolleginnen und Kollegen der anderen Berufsgruppen oder durch Angehörige. In das Portfolio gehört auch die Darlegung aller Weiterbildungen, die ich in den vergangenen drei Jahren absolviert habe. Um dieses hiesige Portfolio fertigzustellen, muss ich die dargelegten Situationen, die herausfordernd waren beziehungsweise in denen ich Lob oder Kritik erfahren habe, mit einer anderen Registered Nurse besprechen und reflektieren. Nach diesem Gespräch muss die Kollegin meine Revalidationsdokumente unterschreiben – mit ihrem Namen und ihrem persönlichen PIN des NMC. Erst dann ist das Portfolio vollständig und erst dann wird dem NMC versichert: Ja, Sabine Torgler ist ein ordentliches Mitglied des NMC, sie folgt ihrer Berufsordnung und erfüllt alle Richtlinien für die weitere Registrierung. 

Seit 2015 führe ich ein Pflegetagebuch, in dem ich all meine Patient:innenfälle reinschreibe, die ich dann für meine Revalidation benutze. 

Im Zuge des Pflegestudiums übernimmt das NMC eine rahmengebende Struktur. In Großbritannien wird die Qualifizierung zu Pflegefachperson durch eine Verknüpfung von gesetzlichen Bestimmungen und berufsbezogenen Anforderungen definiert (The Health Foundation, 2013). 
Das heißt: studiert man Pflege in Großbritannien, hat man am ersten Tag des Studiums Kontakt mit dem NMC. Unsere Studentinnen und Studenten werden in dem 3-jährigen Studium professionell darauf vorbereitet, ein professionelles Kammermitglied zu werden.

Wie sieht der Stellenschlüssel in Großbritannien aus? 

Diese wichtige Frage wird eigentlich immer gestellt, wenn ich die Kolleginnen und Kollegen aus Europa unterrichte. 

Das Royal College of Nursing (unsere Pflegegewerkschaft, as you might remember) hat im Landesdurchschnitt 1:7 verhandelt. Auf den Intensivstationen muss der Schlüssel bei multimorbiden / Delir Patient:innen 1:1 sein. 

Diese Verhandlungen wurden von der Pflegekammer natürlich sehr unterstützt. Auch das Royal College of Midwives (Hebammengewerkschaft) war und ist erfolgreich mit den Verhandlungen. Nach wie vor gilt in den Kliniken eine 1:1 Aufstellung = 1 Hebammen in 1 Kreißsaal für eine Frau unter der Geburt. 

Das sind gesetzliche Vorgaben, die eingehalten werden müssen. In meinen 22 Jahren hatte ich nie mehr als 7 Patient:innen. Ich arbeite oft mit einer Pflegeassistentin zusammen. Zusammen stehen wir für die Patient:innensicherheit ein.
Dieser Personalschlüssel hört sich vielleicht ‚göttlich‘ an und regt vielleicht zum Nachdenken an, wieso wir in 2023 zum Generalstreik in Großbritannien aufgerufen haben.

BUT, please let me explain to you - und da schließt sich auch wieder der Kreis mit der Kammerdiskussion - unsere Pflegekammer definiert ganz klar in unserer Berufsordnung (Code of Conduct), wie wir professionell Pflegen müssen. Wir müssen bestimmte Richtlinien einhalten, nach Standards pflegen, die Evidenz vorweisen, up-to-date mit unserem Pflegewissen sein, um die Patient:innensicherheit gewährleisten zu können. Die britische Gesellschaft muss sicher gepflegt, behandelt, versorgt werden! 

Und das erreicht man nur, wenn der Personalschlüssel demnach ausgerichtet ist! Thank you PFLEGEKAMMER und Thank you PFLEGEGEWERKSCHAFT in Großbritannien.

Zum Abschluss - Was möchte ich den Kolleginnen und Kollegen gerne sagen, die sich gegen eine Pflegekammer aussprechen? 

Ja, ich respektieren Ihre Entscheidung! Aber ich verstehe Sie jedoch nicht. Wer sich in der heutigen Zeit gegen eine berufspolitische Vertretung ausspricht, der spricht sich gegen den sicheren Progress im Pflegeberuf aus. 

Hat man keine Pflegekammer / keine Bundespflegekammer, keine starke Pflegegewerkschaft, keine starken Berufsverbände in der Pflege, dann ist es wirklich unmöglich = actually - nicht umsetzbar - bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, beziehungsweise als eine Berufsgruppe in der Gesellschaft gehört zu werden. Die Autonomie der Pflegeprofession wird demnach nie erreicht. Sie bleibt in der Dienerschaft. 

Für die Länder / Bundesländer, die Ihre Pflegekammer haben (zwei sind es zur Zeit in der BRD) = den Kolleginnen und Kollegen möchte ich gerne sagen: Bitte geben Sie Ihren Kammern Zeit. Eine 150-jährige Dienerschaft der Pflege wird eine 8-jährige oder jüngere Existenz nicht wegarbeiten können. Das ist schlichtweg nicht möglich. ABER diese zwei Bundesländer gehen in die Richtung der Selbstbestimmung, weitere Berufsprozesse werden dem folgen, die einen positiven Effekt haben werden!

Somit applaudiere ich für diese Kolleginnen und Kollegen und sage = keep going! Es werden hier Meilensteine für die nächste und nächste und nächste Generation von Pflegenden in der BRD einbetoniert, die man dann auch nicht verrücken kann. 

Veränderungen ermöglich immer neue Erkenntnisse, die uns als Menschen, als Pflegende nur weiterbringen können. Veränderungen erfordern Mut, Wissen, Kraft, sie fördern den Teamgeist. 

Denken Sie bitte immer daran, was Ihre Pionierin der deutschen Pflege, Agnes Karll, vor über 100 Jahren gesagt hat: ‚Wer soll uns denn unseren Beruf aufbauen, wenn wir es nicht selbst tun! Wir haben kein Recht zu verlangen, dass andere das tun. Krankenpflege ist eine Kunst, die wie jede andere vor allen Dingen eine Reihe angeborener Eigenschaften und Anlagen bedingt, ohne die auch die beste technische Schulung keinen Wert hat‘. 

Florence Nightingale sagte vor über 100 Jahren über die Pflegeprofession: ‘Nursing is a progressive art such that to stand still is to go backwards’. 

Beide Ladies hatten und haben und werden immer Recht haben! 

In diesem Sinne,
With best wishes,

Ihre Sabine Torgler 


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