Pflegepolitik im Wandel: Neue Gesetze, Primärversorgung und Qualitätsprüfung

Die vergangenen Monate haben in der Gesundheits- und Pflegepolitik tiefgreifende Entwicklungen hervorgebracht. Zwischen neuen Gesetzen, Positionspapieren und Tarifabschlüssen zeigt sich: Die Rolle der Pflegefachpersonen verändert sich. Und das nicht nur am Rande, sondern im Zentrum der Versorgung. Die Diskussion um Eigenverantwortung, multiprofessionelle Zusammenarbeit und die Frage nach einer patient:innenzentrierten Primärversorgung deutet auf einen Strukturwandel hin, der das deutsche Gesundheitssystem nachhaltig beeinflussen könnte.

Von der Pflegekompetenz zur Befugniserweiterung

Das zunächst als „Pflegekompetenzgesetz“ diskutierte Vorhaben trägt inzwischen den sperrigen Titel „Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege“. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein entscheidender Schritt: Pflegefachpersonen sollen künftig bestimmte heilkundliche Tätigkeiten eigenverantwortlich übernehmen dürfen. Dazu zählen etwa Leistungen in der Wundversorgung, im Diabetesmanagement oder im Umgang mit Demenz.

Die Grundlage bilden Qualifikationen, die durch bundeseinheitliche Weiterbildungen, Studiengänge oder die Berufsausbildung selbst erworben werden. Allerdings bleibt noch offen, welche konkreten Tätigkeiten übernommen werden dürfen und welche Qualifikationsstufen hierfür vorausgesetzt werden. Klar ist nur: Die Selbstverwaltung und die beteiligten Verbände müssen diese Details in Verträgen festlegen.

Die zeitliche Planung verdeutlicht, dass dieser Prozess nicht kurzfristig abgeschlossen sein wird. Bis 2027 soll zunächst für die ambulante, bis 2028 auch für die stationäre Versorgung geregelt sein, welche Leistungen eigenständig von Pflegefachpersonen übernommen werden dürfen. Dass dieser Weg steinig ist, zeigt nicht zuletzt die ablehnende Haltung der Bundesärztekammer, die von einer Überschreitung ärztlicher Kernkompetenzen spricht.

Die Reaktionen der Pflegeverbände

Für die Pflegeverbände ist das Gesetz ein Meilenstein. Der Deutsche Pflegerat bezeichnete es als „erstmalige Verankerung der Profession Pflege als eigenständigen Heilberuf“ und betonte, dass dies die Attraktivität des Berufs steigern könne. Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) begrüßte die Richtung, mahnte aber Nachbesserungen an. Besonders bei präventiven Aufgaben wünschen sich die Verbände mehr Eigenverantwortung, um Patient:innen nicht nur beraten, sondern verbindlich begleiten zu können.

Diese Stimmen zeigen, dass das Gesetz zwar ein Signal setzt, aber keineswegs das Ende der Debatte markiert. Vielmehr wird die Ausgestaltung darüber entscheiden, ob aus dem Anspruch auf mehr Autonomie tatsächlich gelebte Praxis wird.

Deutscher Pflegerat - Kabinettsbeschlüsse: Zwei Gesetze stärken die Pflege
Das Bundeskabinett hat heute (06.08.2025) mit dem Gesetz zur Befugniserweiterung in der Pflege sowie dem Gesetz zur bundeseinheitlichen Pflegefachassistenz­ausbildung zwei wichtige Gesetzentwürfe zur Stärkung der Pflege beschlossen.

Primärversorgung neu gedacht

Parallel dazu formiert sich eine multiprofessionelle Bewegung. In einem gemeinsamen Positionspapier fordern der DBfK, der Verein Demokratischer Ärzt:innen und der Verein Demokratischer Pharmazeut:innen eine Abkehr vom klassischen Primärarztsystem. Ihre Vision: Primärversorgungszentren, die ein breites Spektrum medizinischer, pflegerischer, pharmazeutischer und psychosozialer Leistungen bündeln.

Die Idee ist einfach, aber wirkungsvoll: Patient:innen sollen eine wohnortnahe Anlaufstelle erhalten, in der verschiedene Gesundheitsberufe auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Diese Zentren sollen nicht nur Allgemeinmedizin und Pflege integrieren, sondern auch Prävention, Ernährungsberatung, Bewegungsprogramme, Telemedizin und soziale Unterstützung.

Gerade in ländlichen Regionen, wo hausärztliche Versorgung zunehmend gefährdet ist, könnten Rotationspraxen, mobile Teams oder Shuttle-Services Patient:innen den Zugang sichern. Die Verbände argumentieren, dass Hierarchien und Delegationsprinzipien durch echte Kooperation ersetzt werden müssen. Pflegefachpersonen und Community Health Nurses sollen dabei eine Schlüsselrolles übernehmen.

Multiprofessionelle Zusammenarbeit als Zukunftsmodell

Die Idee der Primärversorgungszentren rückt ein anderes Gesundheitsverständnis in den Vordergrund: weg von ärztlicher Dominanz hin zu geteilter Verantwortung. Das bedeutet nicht nur Entlastung für Ärzt:innen, sondern auch eine Aufwertung pflegerischer und pharmazeutischer Kompetenzen.

Ein Beispiel: Apotheker:innen können bei komplexen Medikationsplänen entscheidend zur Sicherheit beitragen. Pflegefachpersonen wiederum sind prädestiniert dafür, Patient:innen in chronischen Krankheitsverläufen zu begleiten und präventive Maßnahmen umzusetzen. Studien belegen, dass Community Helpers in solchen Strukturen Versorgungsqualität messbar verbessern können.

Damit wird klar: Ein Gesundheitssystem, das multiprofessionell aufgestellt ist, kann nicht nur effizienter, sondern auch patient:innenzentrierter arbeiten. Allerdings erfordert dieser Umbau erhebliche Investitionen, die bislang ausgeblieben sind.

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Qualitätsprüfungen in der ambulanten Pflege im Wandel

Ein weiteres Thema betrifft die Qualitätsmessung in ambulanten Pflegediensten. Der Medizinische Dienst hat neue Richtlinien veröffentlicht, die ab Juli 2026 in Kraft treten. Neu ist vor allem der Fokus: Nicht mehr Strukturen, sondern Ergebnisqualität rückt ins Zentrum der Prüfungen.

Richtlinien für Qualitätsprüfungen in ambulanten Pflegediensten veröffentlicht
Der Medizinische Dienst Bund hat die Richtlinien für die Qualitätsprüfung in ambulanten Pflegediensten veröffentlicht. Sie wurden am 19. Mai 2025 vom Medizinischen Dienst Bund erlassen und am 7. August 2025 vom Bundesministerium für Gesundheit genehmigt. Die Richtlinien treten am 1. Juli 2026 in Kraft.

Das bedeutet, dass weniger auf Dokumente und organisatorische Abläufe geschaut wird, sondern auf die tatsächlichen Ergebnisse der Versorgung. Bewertet wird nach einem vierstufigen System – von „keine Auffälligkeiten“ bis zu „Defizit mit eingetretenen negativen Folgen“. Ergänzt wird dies durch einen beratungsorientierten Ansatz: Prüfende sollen Einrichtungen nicht nur kontrollieren, sondern auch aktiv bei Verbesserungen begleiten.

Diese Neuausrichtung, entwickelt von der Hochschule Osnabrück und der Universität Bielefeld, orientiert sich am stationären System, das seit 2019 gilt. Sie könnte langfristig zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit führen – und damit auch Patient:innen bei der Wahl eines Pflegedienstes unterstützen.

Arbeitskämpfe und Tarifverhandlungen in Leipzig

Auch die Arbeitsbedingungen in der Pflege standen zuletzt im Fokus. Nach monatelangen Streiks einigten sich Verdi und Helios am Herzzentrum Leipzig auf einen Tarifabschluss. Dieser bringt zwar keine vollständige Umsetzung der Forderungen, aber spürbare Verbesserungen: stufenweise Lohnerhöhungen, höhere Ausbildungsvergütung, verbesserte Jahressonderzahlungen sowie neue Zuschläge für die Schicht- und Wochenendarbeit.

Zusätzlich gibt es Zusatzurlaub für langjährig Beschäftigte und für Pflegefachpersonen mit hoher Belastung. Verdi sieht darin einen Fortschritt, kritisiert aber, dass zentrale Forderungen wie eine 12-prozentige Gehaltserhöhung nicht durchgesetzt werden konnten.


Ein System in Bewegung

Gesetzliche Neuregelungen, neue Versorgungsmodelle, Reform der Qualitätsprüfungen und verbesserte Arbeitsbedingungen – all diese Entwicklungen sind keine isolierten Ereignisse. Sie weisen auf einen übergeordneten Trend hin: Die Pflegefachpersonen gewinnen an Bedeutung, und ihre Kompetenzen werden zunehmend im Zentrum gesundheitspolitischer Strategien verankert.

Der Weg dahin ist jedoch von Widerständen geprägt. Standesorganisationen warnen vor Kompetenzverschiebungen, während Verbände mehr Eigenverantwortung und multiprofessionelle Kooperation fordern. Klar ist: Ein „Weiter so“ wird das System nicht tragen.

Ob die neuen Gesetze und Konzepte langfristig wirken, hängt entscheidend davon ab, wie sie umgesetzt werden – und ob Politik, Selbstverwaltung und Berufsverbände gemeinsam Verantwortung übernehmen.