Hospizzimmer – wenige Worte,ein Händedruck und Gemütlichkeit, wo sie nicht erwartet wird
Es war mitten in der Nacht, das Zimmer war gemütlich beleuchtet durch eine Lichterkette, die um einen kleinen Bonsai gewickelt war und als Weihnachtsbaum diente, und ich saß auf der Bettkante am Pflegebett meiner Frau, Elli, die kaum noch sprechen konnte. Ich hielt ihre Hand. Sie drückte sie. Ich wusste: Jetzt geht es nicht um Worte. Jetzt geht es um Dasein.
Ich habe Elli 26 Monate lang begleiten dürfen und gepflegt. Mit einem Glioblastom, eine lebensbegrenzende Diagnose, unheilbar. Die letzten fünf Monate haben wir gemeinsam in einem Doppelzimmer im Hospiz gelebt. Mit gemütlichen GinTonic (alkoholfrei) Abenden am Lagerfeuer und der Gewissheit der Ungewissheit, aber immer mit Humor. Ich war nicht nur Ehemann, sondern auch Pflegeperson, Übersetzer, manchmal Anwalt und auch Seismograf, um heikle Situationen gemittelt auszubaden und aufzuzeichnen. Was ich in dieser Zeit gelernt habe: Kommunikation ist nicht alles, aber ohne Kommunikation ist alles nichts.

Er kennt die Herausforderungen aus erster Hand: die Ohnmacht, die Sorge, die Hoffnung und die Erschöpfung. Seine Erfahrungen gibt er weiter auf seiner Plattform morphineonbananabread.com, einer Initiative, die pflegende Angehörige unterstützt und die oft unausgesprochene Gefühle sichtbar macht. Er spricht offen über Pflege, Mut und die gesellschaftlichen Strukturen, die Pflegende herausfordern.
Robert möchte mit seinen Projekten Mut und Hoffnung machen und zur Veränderung anregen - für mehr Nähe, Verständnis und Würde in den letzten Lebensphasen.
Wenn ihr/Sie gemeinschaftlich auch an umsetzbaren Lösungen für Kommunikation arbeitet oder auch bestehende Möglichkeiten aufpolieren, neudenken oder mit Herz erweitert, meldet euch jederzeit auf www.morphineonbananabread.com.
Wenn nichts mehr sicher ist, bleibt das Gespräch
Pflege ist weit mehr als Warten, Waschen, Wenden und Dokumentieren. Es ist eine Beziehung. Und Beziehung entsteht durch Kommunikation: verbal, nonverbal und symbolisch. Wir wissen heute: Kommunikation umfasst nicht nur Worte, sondern auch Gesten, Blicke und Berührungen [1]. Gerade in der Palliativpflege werden diese Formen oft zur Brücke, wenn Sprache versagt.
Wie das Leitlinienpapier zur Palliativmedizin zeigt, ist es wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Patient*innen sicher und gehört fühlen und das gelingt mit offenem Blickkontakt, ruhigem Tonfall und dem „Da-Sein“ auch im Schweigen [2]. Auch aus der Sicht der Angehörigen ist eine effektive Einbeziehung ausschlaggebend für die Lebensqualität der Betroffenen [3].
Doch wie kommuniziert man, wenn jemand kaum noch sprechen kann? Wenn Worte wehtun? Wenn der Tod im Raum steht? Es gibt wie immer keine allumfassende Lösung, aber viele Hilfen bei Pflegestützpunkten, Pflegeeinrichtungen, in Hospizen und auf Palliativstationen. Fragt aktiv nach, denn Ärzt:innen schützen auch die Angehörigen, da nicht alle Informationen allumfassend als Laie verstanden werden können. Aber ein aktiver Dialog zeigt, was alles möglich ist und wie man z.B. auch mit Schaubildern, Tanzeinlagen oder Schere und Papier Kommunikation möglich machen kann. Zum Teilen. Und manche Ideen auch zum Teilen.
Kommunikation ohne Worte: kleine Gesten, große Wirkung
Wir reden oft über Pflegehandlungen, viel zu selten über die kleinen Sätze, die das Gegenüber tragen. Oder über das Aushalten von Schweigen. Über die Blicke, die Hände, die Haltungen. Dabei kann eine einfache Geste und ein „Ich bin gleich wieder da“ mit Blickkontakt Sicherheit geben. Oder auf der anderen Seite kann eine Floskel, wie „Das wird schon wieder“, Vertrauen nachhaltig zerstören, da beide Seiten wissen, es wird nicht alles wieder gut.
In der Pflege kann Kommunikation Halt geben. Und sie kann Halt nehmen.
Sprachlosigkeit ist keine Lücke
Es gibt Situationen, in denen Worte zu groß oder zu klein sind. In denen nichts gesagt werden muss oder alles. Ich habe gelernt: Präsenz ist eine Form von Sprache. Wer bleibt, sagt etwas. Wer schweigt, kann mehr mitteilen als jemand, der redet, um das Schweigen zu füllen. Oder geht.
Die SPIKES-Methode, die eigentlich für schwierige Nachrichten in der Medizin entwickelt wurde, lehrt uns: Manchmal ist das „Emotionale Aushalten“ wichtiger als die Information selbst [4]. In der Pflege heißt das: Schweigen zulassen, bei Gefühlen bleiben, ohne sie sofort erklären oder lösen zu wollen. Auch ist die Frage, wie Reden wir darüber in den letzten Tagen mit Patienten und Angehörigen, eine essenzielle: Für die interessierten Leser:innen kann auch das TAD-Modell eine interessante Quelle sein [5].
Pflegekräfte, die die Unruhe eines Delirs nicht weg reden wollen, sondern leise beim Menschen bleiben, wissen: Ein Delir spricht in einer eigenen Sprache. Und sie hören trotzdem hin.
Oder Pflegende, die sich neben einen weinenden Angehörigen setzen. Nicht, um zu trösten, sondern um da zu sein. Um nicht auszuweichen.
Kommunikation bei Aphasie oder Demenz – anders, aber möglich
Wie kommuniziert man mit Menschen, die nicht mehr sprechen können? Die Worte suchen, aber keine finden? Unterstützte Kommunikation ist hier der Schlüssel. Ob Bildertafeln, einfache Ja/Nein-Fragen oder elektronische Hilfsmittel – sie öffnen Türen, wenn die Sprache versagt. [6][7]
Ich erinnere mich an die Entscheidungsmatrix auf einem laminierten Blatt im Hospiz, eine einfache Tabelle mit Ja/Nein-Feldern, Symbolen, Farben. Ein kleiner Trick, große Wirkung. Elli konnte nicken, manchmal. Und manchmal auch nur mit den Augen reagieren. Aber sie konnte sich äußern. Und das hat alles verändert. Selbst habe ich eine große Entscheidungsmatrix entwickelt, um auch Lebensqualität und Selbstständigkeit hochzuhalten und neben den Grundbedürfnissen auch Dinge wie Sachen außerhalb des Raumes, Wünsche, Gespräche mit anderen Personen, eigene Zeit, etc. zu ermöglichen. Denn Kommunikation geht nur mit nicht über die betroffene Person.
Bei Aphasie/Demenz hilft immer mit Validierung zu begegnen, nicht dem Vorwurf: Gefühle spiegeln, nicht korrigieren. Statt „Du warst doch gestern schon beim Arzt“ lieber „Das klingt, als wäre dir das wichtig“. So entstehen Verbindungen trotz Wortverlust [8].
Manchmal ist es die Musik, ein Foto, der Geruch von Erdbeeren mit Schlagsahne, der eine Tür öffnet. Türen, die Sprache allein nicht mehr aufbekommt.
Es gibt viele Darstellungstafeln, Leitlinien und Broschüren, am Ende hilft das, was verstanden werden kann und angenommen wird. Und das ist dynamisch. In der Erfahrung habe ich eine große Entscheidungsmatrix gebaut, die zur Unterstützung selbstständiger Entscheidungen dienen sollte. Mit der Aphasie kam das Gefühl auf „Gefangen im eigenen Körper zu sein“ und die Prämisse war für mich: Alle Entscheidungsmöglichkeiten auf einen weiten Raum auszuweiten.
Kommunikation ist auch Macht
Wer redet, entscheidet mit. Das gilt am Konferenztisch, ebenso im und am Pflegebett. Wer das Gespräch führt, bestimmt, was Thema ist. Deshalb ist die Haltung so wichtig. Pflege kann kontrollieren oder befähigen. Schweigen kann schützen oder ausschließen.
So haben wir auch Entscheidungen aufgeteilt: „Willst du heute noch duschen, dann ziehe am kleinen Finger oder lieber morgen, dann am Daumen?“ Zwei Optionen. Eine echte Entscheidung. Ein Moment von Würde.
Genauso habe ich erlebt, wie jemand über Elli sprach, nicht mit ihr. „Sie ist heute sehr verwirrt.“ Sie war anwesend. Sie hat es gehört. Und sich abgewandt. Ein klärendes Gespräch mit der Person ist dann wichtig und richtig, nicht das bloße Hinnehmen.
Angehörige: mittendrin und doch oft außen vor
Pflegende Angehörige sind keine Gäste im Gesundheitssystem. Sie sind Mitbewohner:innen. Aber viel zu oft werden sie wie Besucher:innen behandelt. Dabei tragen sie mit. Jeden Tag. Und sie brauchen genauso Informationen, Halt, Kommunikation.
Ich war manchmal an der Belastungsgrenze. Müde. Und gleichzeitig hochwachsam. Ich wusste, was Elli braucht, aber ich musste es lernen, zu vermitteln. Manche Pflegekräfte haben uns eingeladen. „Was beobachtest du? Wie geht es euch heute?“ Andere haben uns ignoriert. Oder mir das Gefühl gegeben, ich störe.
Eine achtsame Kommunikation mit Angehörigen ist entscheidend für ihre Kraft und ihre Rolle. Das zeigen Studien zur Familienpflege in Hospizen [9]. Gute Pflege bezieht die Familie ein, informiert ehrlich und mitfühlend und schafft Raum für ihre Fragen und Sorgen.
Resonanz statt Routine
Die Soziologin Eva Illouz betont, dass Resonanz und emotionale Verbundenheit nicht bloß Gefühle sind, sondern soziale Praktiken, die Beziehungen tragen und Gesellschaft formen. Genau das passiert meiner Meinung nach in der Pflege: Es ist die Begegnung, die trägt und nicht die Routine.
Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von Resonanz: Wenn etwas zurückkommt. Wenn ein Mensch spürt: Ich werde gesehen und gehört und Menschen sich öffnen: Weinen, lachen oder einfach durchatmen, weil sie verstanden oder ein Bedürfnis erkannt wurde.
Kommunikation in der Pflege ist nicht nur Technik. Sie ist Haltung. Offenheit. Der Mut, sich emotional berühren zu lassen und empathisch zu sein und die Fähigkeit, präsent zu bleiben, auch wenn man keine Lösung hat. Das alles in der Gleichzeitigkeit der Professionalität und Distanz, nicht jedes Einzelschicksal an sich ranzulassen. Eine echt schwere und enorm gesellschaftsrelevante Aufgabe aus der ich nur kleine Auszüge miterleben durfte. An der Stelle möchte ich virtuell und ganz in digitalem Pergament vor allen Pfleger:innen meinen Hut (Bananen Cappy) lüften: Danke, dass es euch gibt!
Und jetzt?
Ich schreibe diesen Text nicht, weil ich alles richtig gemacht habe. Ich schreibe ihn, weil ich glaube, dass Sprache ein Werkzeug sein kann. Für mehr Nähe. Für mehr Menschlichkeit. Für mehr Würde – auch (oder gerade) am Ende eines Lebens.
Ich habe Fehler gemacht, war erschöpft, manchmal auch ungerecht mir selbst gegenüber, anderen gegenüber, aber mit dem (Ge)Wissen niemals Elli gegenüber. Ich war in Gesprächen mit Pflegekräften manchmal zu leise und manchmal zu laut. Und doch: Ich habe in dieser Zeit etwas Grundsätzliches erfahren. Nämlich, dass Sprache eine Brücke sein kann oder eine Mauer.
Nutzt diese: Füreinander und wenn gegeneinander, dann nur gemeinsam gegen die Krankheit. Denn manchmal darf auch einfach alles s***** sein und gemeinschaftlich ein Frühlingsschrei rausgelassen werden.
Kommunikation in der Pflege ist nie nur Technik. Sie ist Haltung.
Und sie beginnt mit dem Wunsch, das Gegenüber wirklich zu erreichen. Nicht nur Informationen auszutauschen, sondern Resonanz zu ermöglichen. In einer Gesellschaft, in der Pflege oft auf Effizienz, Routinen und Minutenpläne reduziert wird, brauchen wir Räume, in denen Zeit für das Gespräch bleibt. In denen sich Pflegende trauen dürfen, mit offenem Herzen zu kommunizieren und in denen sie selbst gehört werden.
Denn gute Kommunikation hilft nicht nur Patient:innen und Angehörigen. Sie schützt auch Pflegende. Vor Entfremdung. Vor innerer Kälte. Vor dem Gefühl, nur noch zu funktionieren.
Lasst uns also mehr reden. Mehr fragen. Mehr zuhören. Lasst uns das Schweigen zulassen, wenn Worte nicht reichen. Und lasst uns gemeinsam nach Ausdrucksformen suchen, wo Sprache nicht mehr möglich ist.
Zwischen Ohnmacht und Hoffnung liegt manchmal nur ein Satz. Und manchmal nur ein Blick, eine Geste, eine stille Präsenz. Das ist die Kraft, die Pflegende in sich tragen. Und das ist der Unterschied, den sie machen.
zum weiterlesen
- [1] Sharkiya, S.H. Quality communication can improve patient-centred health outcomes among older patients: a rapid review. BMC Health Serv Res 23, 886 (2023). https://doi.org/10.1186/s12913-023-09869-8
- [2] Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (2021). S3-Leitlinie Palliativmedizin.
- [3] Palliative & Supportive Care , Volume 21 , Issue 5 , October 2023 , pp. 890 - 913, DOI: https://doi.org/10.1017/S1478951523001165
- [4] Baile, W. F. et al. (2000). SPIKES – A Six-Step Protocol for Delivering Bad News.
- [5] Sibylle J. Felber, Sofia C. Zambrano, Tommaso Guffi, Felix M. Schmitz, Beate G. Brem, Kai P. Schnabel, Sissel Guttormsen, Steffen Eychmüller, How to talk about dying? The development of an evidence-based model for communication with patients in their last days of life and their family caregivers, PEC Innovation, Volume 5, 2024, 100309, https://doi.org/10.1016/j.pecinn.2024.100309.
- [6] Beukelman, D., & Mirenda, P. (2013). Augmentative & Alternative Communication: Supporting Children and Adults with Complex Communication Needs.
- [7] Bellieni C. V. (2022). Verbal Communication with the Patient Is Not Enough: The Six Languages of the Sick. Nursing reports (Pavia, Italy), 12(4), 726–732. https://doi.org/10.3390/nursrep12040072
- [8] Feil, N. (1993). Validation: The Feil Method.
- [9] McAndrew, N. S., Camarda, A., Fortney, C. A., McCracken, C., Bartowitz, J., & Rosa, W. E. (2025). Rapid Review of Family Caregiver Engagement in Hospice and End-of-Life Patient Care: Implications for Nursing Practice. Journal of hospice and palliative nursing : JHPN : the official journal of the Hospice and Palliative Nurses Association, 27(4), 172–181. https://doi.org/10.1097/NJH.0000000000001133
