Eine Reform mit Ambitionen

Seit dem Start der generalistischen Pflegeausbildung im Jahr 2020 hat sich in der Ausbildungslandschaft viel verändert. Statt drei separater Berufsabschlüsse – Gesundheits- und Krankenpflege, Kinderkrankenpflege, Altenpflege – gibt es nun eine gemeinsame Ausbildung zur Pflegefachperson. Ziel der Reform war es, den Beruf attraktiver zu gestalten und die Durchlässigkeit innerhalb der verschiedenen Versorgungsbereiche zu verbessern. Diese Neuausrichtung weckte hohe Erwartungen und wurde von vielen Auszubildenden positiv aufgenommen: Laut der Begleitforschung BENP entschieden sich 97 Prozent für den generalistischen Abschluss. Das ist ein deutliches Votum für die Idee der Generalistik.

Die Mühsal der Umsetzung

Doch zwischen Reform und Realität zeigt sich ein Spannungsfeld: Die Umsetzung ist noch längst nicht flächendeckend gelungen. Insbesondere in der Pädiatrie mangelt es an strukturierten Lerneinsätzen, qualifiziertem Lehrpersonal und passenden Praxiseinsätzen. Gleichzeitig berichten viele Auszubildende von Defiziten in der schulischen Ausbildung: Inhalte werden nicht konsequent generalistisch vermittelt, sondern orientieren sich oft noch an alten Denkmustern. Hier zeigt sich, wie tief die Umstellung in das Selbstverständnis von Lehrenden eingreift. Viele Lehrpersonen haben selbst nie eine generalistische Ausbildung durchlaufen. Sie müssen nun alte Routinen verlassen und neue Konzepte entwickeln, wofür Zeit, Austausch und Fortbildung notwendig sind.

„Wir sehen, dass viele Probleme nicht an der Generalistik selbst liegen, sondern an ihrer Umsetzung.“ – Dr. Markus Wochnik

Ein weiterer zentraler Befund der Studie ist die mangelnde Verzahnung zwischen Theorie und Praxis. Auszubildende beklagen, dass das Gelernte in der Praxis oft nicht anschlussfähig ist. Inhalte der Berufsschule passen nicht zu den Anforderungen im Klinikalltag, und umgekehrt gibt es wenig strukturierte Reflexionsräume für Praxiserfahrungen im Unterricht. Dabei ist die Abstimmung zwischen den Lernorten ein zentrales Element der Reform. Auch Praxisanleiter:innen wünschen sich mehr Austausch mit Lehrpersonen, berichten aber über fehlende Zeit und strukturelle Hürden. Besonders in kleineren Einrichtungen wie ambulanten Pflegediensten ist die Umsetzung der Praxisanleitung herausfordernd. Dort fehlt es oft an freigestelltem Personal und an Ressourcen, um die geforderten zehn Prozent Anleitung systematisch zu leisten. Tatsächlich zeigt die Studie, dass nur rund ein Viertel der Auszubildenden dieses Ziel erreicht.Ein weiterer zentraler Befund der Studie ist die mangelnde Verzahnung zwischen Theorie und Praxis. Auszubildende beklagen, dass das Gelernte in der Praxis oft nicht anschlussfähig ist. Inhalte der Berufsschule passen nicht zu den Anforderungen im Klinikalltag, und umgekehrt gibt es wenig strukturierte Reflexionsräume für Praxiserfahrungen im Unterricht. Dabei ist die Abstimmung zwischen den Lernorten ein zentrales Element der Reform. Auch Praxisanleiter:innen wünschen sich mehr Austausch mit Lehrpersonen, berichten aber über fehlende Zeit und strukturelle Hürden. Besonders in kleineren Einrichtungen wie ambulanten Pflegediensten ist die Umsetzung der Praxisanleitung herausfordernd. Dort fehlt es oft an freigestelltem Personal und an Ressourcen, um die geforderten zehn Prozent Anleitung systematisch zu leisten. Tatsächlich zeigt die Studie, dass nur rund ein Viertel der Auszubildenden dieses Ziel erreicht.

BIBB - Begleitforschung des Veränderungsprozesses
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ist das anerkannte Kompetenzzentrum zur Erforschung und Weiterentwicklung der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Deutschland.
BIBB - BENP II
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ist das anerkannte Kompetenzzentrum zur Erforschung und Weiterentwicklung der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Deutschland.

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Lernraum Praxis: Der unterschätzte Wert der Anleitung

Dabei ist Praxisanleitung für die Lernenden nicht nur ein Lerninstrument, sondern ein geschützter Raum. Sie erleben diese Zeit als Chance, ohne Leistungsdruck Kompetenzen aufzubauen, Fragen zu stellen und Feedback zu erhalten. Anleitende werden oft als wichtigste Bezugs- und Vertrauenspersonen erlebt. An einem Lernort, der sonst von Zeitnot und Unterbesetzung geprägt ist, gewinnt Anleitung eine neue Bedeutung: Sie wird zum Ort des Ankommens, zum Mentoring, zur psychosozialen Stütze. Die BENP-Daten zeigen: Wer gut angeleitet wird, erlebt die Ausbildung positiver, bleibt eher im Beruf und steigt auch mit mehr Selbstvertrauen ein.

„Die Praxisanleitung ist oft der einzige Schonraum im stressigen Alltag – und damit enorm wertvoll für die Auszubildenden.“ – Daniel Großmann

Und doch sind es genau diese strukturellen Schwächen, die zu Problemen führen. Etwa 40 Prozent der Befragten fühlen sich am Ende ihrer Ausbildung nicht ausreichend vorbereitet auf den Berufseinstieg. Viele berichten von Unsicherheiten, insbesondere dann, wenn sie in einem anderen Bereich starten als ihrem Vertiefungseinsatz. Die Generalistik soll Flexibilität ermöglichen – das tut sie auch. Aber sie braucht dann auch bessere Einarbeitungskonzepte, damit Pflegefachpersonen nicht ins kalte Wasser geworfen werden. Die ersten Berufsjahre sind entscheidend für den Verbleib im Beruf. Was hier verpasst wird, lässt sich kaum nachholen.

Belastungen, Brücken, Brüche

Hinzu kommen hohe psychische Belastungen, die während der Ausbildung auftreten. Besonders auffällig: Der Druck steigt zum Ende der Ausbildung. Prüfungsängste und Überforderung gehören für viele zum Alltag. Gleichzeitig werden in dieser Phase Anleitungen intensiver – was sinnvoll, aber auch zu spät ist. Ein weiterer Aspekt ist die Abbruchquote: Rund 40 Prozent der Teilnehmenden im Panel gingen während der Studiendauer verloren. Zwar haben nicht alle ihre Ausbildung vorzeitig beendet, doch Ausbildungsabbrüche sind ein reales Problem. Die häufigsten Gründe: psychische und physische Überforderung.

Interessant ist auch der Blick auf Ausbildungswechsel. Einige Auszubildende wechseln den Träger – und zwar überproportional aus der Langzeit- in die Akutpflege – meist wegen unzureichender Lernbedingungen und Praxisanleitung. Auch das zeigt strukturelle Defizite: Dort, wo Anleitung nicht gut funktioniert oder Teams überlastet sind, gehen die Menschen. Und zwar nicht irgendwann, sondern bereits während der Ausbildung. Die Langzeitpflege – oft als "Pflege im besten Sinne" beschrieben – droht dadurch langfristig zu verlieren. Hier braucht es gezielte Strategien, um Arbeitsbedingungen, Anleitung und Attraktivität zu verbessern.

Zwischen Koordination und Konkurrenz

Die BENP-Studie des Konsortiums aus f-bb, KSH und HE zeigt jedoch auch, dass Wandel möglich ist. Dort, wo Kooperationsstrukturen zwischen Schulen, Hochschulen und Praxisträgern gut funktionieren, gelingt Ausbildung besser. Ausbildungsverbünde, die sich auf gemeinsame Dokumentation, abgestimmte Lernziele und klare Zuständigkeiten einigen, schaffen Verbindlichkeit und Qualität. Das klappt nicht überall und ist oft von einzelnen Personen abhängig, die Verantwortung übernehmen und motiviert sind. Aber genau das ist der Kern guter Ausbildung: Haltung, Zusammenarbeit und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen.

Ein großer Pluspunkt: Die im Projekt BENP erhobenen Daten sollen über das Forschungsdatenzentrum öffentlich zugänglich gemacht werden. Das ist nicht nur ein Gewinn für die Forschung, sondern auch für die Praxis. Wer Pflegeentwicklung ernst nimmt, braucht Daten.


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Gesundheit ist ein Menschenrecht – aber nicht alle in Deutschland haben die gleichen Chancen, gesund zu bleiben oder gesund zu werden. In unserem neuen Video geht es um Health Equity, also gesundheitliche Gerechtigkeit – und darum, warum gleiche Behandlung nicht automatisch fair ist.

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Falls du tiefer eintauchen möchtest, empfehlen wir dir auch den Podcast mit Bianca Flachenecker:

Warum Gesundheitsgerechtigkeit uns alle betrifft!
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