Pflegewissenschaft ist heute ein selbstverständlicher Teil der akademischen Landschaft in Deutschland. Doch der Weg dahin war lang, geprägt von Unsicherheit, Aufbauarbeit und nicht zuletzt von der Frage: Wo findet wissenschaftlicher Austausch eigentlich statt? Eine Antwort darauf liefert die DGP in der Fachzeitschrift „Pflege & Gesellschaft“. Sie ist mehr als ein klassisches Publikationsorgan. Sie ist Spiegel und Motor einer Disziplin, die ihren Platz in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft erst erkämpfen musste – und leider immer noch neu verhandelt.
In unserem Podcast beleuchten wir zusammen Prof.in Dr.in Renate Stemmer und Prof. Dr. Dr. Andreas Büscher die Geschichte, die Funktionen und die aktuelle Bedeutung von DGP und „Pflege & Gesellschaft“. Dabei geht es nicht nur um Strukturen, sondern auch um die Frage, wie Pflegewissenschaft sichtbar wird, welchen Stellenwert Publikationen im deutschsprachigen Raum haben und wie die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis gelingt.
Die Anfänge der Pflegewissenschaft in Deutschland
Die DGP wurde 1989 gegründet – damals noch unter dem Namen „Deutscher Verein zur Förderung der Pflegewissenschaft“. Das verdeutlicht, wie jung die Disziplin in Deutschland war. Während in Ländern wie den USA, Großbritannien oder Skandinavien pflegewissenschaftliche Studiengänge längst etabliert waren, stand man hierzulande erst am Anfang.
Die Gründung der Gesellschaft war daher ein bewusster Schritt: Pflege sollte nicht länger nur als praktische Tätigkeit verstanden werden, sondern auch als Forschungs- und Erkenntnisfeld. Ziel war es, Pflegewissenschaftler:innen zu vernetzen, Nachwuchs zu fördern und die Disziplin in der akademischen Welt zu verankern.
Heute ist die DGP eine zentrale Institution der Pflegewissenschaft in Deutschland. Sie hat etwa 1.100 Mitglieder, vor allem Lehrende, Forschende und Promovierende, zunehmend aber auch Nachwuchswissenschaftler:innen. Sektionen zu speziellen Themen – von Theorieentwicklung bis hin zu historischer Pflegeforschung – strukturieren die Arbeit und ermöglichen tiefe fachliche Diskussionen.

Aufgaben der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft
Die DGP ist eine wissenschaftliche Fachgesellschaft. Zentrale Aufgaben sind:
- Forschungsförderung und Nachwuchsarbeit: Die Gesellschaft unterstützt junge Wissenschaftler:innen, etwa durch eine eigene Sektion für Nachwuchspflegewissenschaft, durch Hochschultage oder durch Publikationsmöglichkeiten.
- Wissenschaftlicher Austausch: Tagungen, Symposien und Fachsektionen bieten Raum für Diskussionen. Ein wichtiges Ziel ist die Reflexion der Rolle von Pflege in Gesundheitssystem und Gesellschaft.
- Interdisziplinäre Vernetzung: Pflegewissenschaft überschneidet sich mit Soziologie, Medizin, Psychologie, Bildungs- und Ingenieurwissenschaften. Die DGP sucht bewusst den Austausch mit diesen Disziplinen.
- Politische Beratung: Als Mitglied im Deutschen Pflegerat und in der AWMF (Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften) bringt die DGP pflegewissenschaftliche Positionen in die gesundheitspolitische Diskussion ein.
- Publikationen: Über „Pflege & Gesellschaft“ schafft sie ein Forum für wissenschaftliche Texte, die den Diskurs dokumentieren und weiterentwickeln.
Damit ist die DGP ein Knotenpunkt, der sowohl nach innen als auch nach außen wirkt: nach innen zur Stärkung der Disziplin, nach außen zur Positionierung in Politik und Gesellschaft.
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„Pflege & Gesellschaft“ – das Sprachrohr der Disziplin
Die Zeitschrift „Pflege & Gesellschaft“ entstand in den frühen 1990er-Jahren auf Initiative der Mitglieder. Schon die Satzung der DGP sah vor, wissenschaftliche Erkenntnisse zu publizieren. Schnell wurde klar, dass es ein eigenes Organ braucht, das als Forum für den Diskurs dient.
„Wissenschaft lebt von Text. Die Auseinandersetzung über Methoden und Ergebnisse braucht ein Medium, das Nachvollziehbarkeit und Tiefe ermöglicht.“
– Prof.in Dr.in Renate Stemmer
Der Juventa Verlag, spezialisiert auf Sozial- und Erziehungswissenschaften, übernahm früh die verlegerische Betreuung. Das passte gut, denn Pflegewissenschaft bewegt sich unter anderem im Spannungsfeld von Medizin, Sozialwissenschaft und Gesellschaftsreflexion. „Pflege & Gesellschaft“ erscheint vierteljährlich und ist damit eines der wichtigsten deutschsprachigen Publikationsorgane im Feld.

Thematisch deckt die Zeitschrift ein breites Spektrum ab: von Community Health Nursing über Migration, Prävention und Primärversorgung bis hin zu Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Auffällig ist, dass viele Themen nicht nur disziplinintern sind, sondern bewusst gesamtgesellschaftliche Fragen aufgreifen – eben Pflege und Gesellschaft.
Warum braucht es ein eigenes Fachorgan?
Ein eigenes Organ schafft Identität und Sichtbarkeit. „Pflege & Gesellschaft“ ist ein Kommunikationsmedium, Diskussionsplattform und Symbol für eine eigenständige Disziplin. Hier werden Kontroversen dokumentiert, Entwicklungen reflektiert und theoretische Positionen verhandelt.
Zudem hat die Zeitschrift eine wichtige Brückenfunktion: Sie macht pflegewissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich für die deutschsprachige Community, die sonst oft nur auf internationale, englischsprachige Literatur zurückgreifen müsste.
„Pflege & Gesellschaft beleuchtet gezielt die Rolle der Pflege in der Gesellschaft – das ist eine Lücke, die andere Zeitschriften nicht schließen.“
– Prof. Dr. Dr. Andreas Büscher
Der Peer-Review-Prozess – Qualität sichern
Wie in anderen wissenschaftlichen Journals durchlaufen Beiträge ein Peer-Review-Verfahren. Autor:innen reichen Artikel ein, die anonym von zwei Gutachter:innen geprüft werden.
Jährlich werden rund 30 Beiträge eingereicht. Ein Pool von 90 bis 100 Reviewer:innen steht zur Verfügung. Die Durchlaufzeit bis zur Veröffentlichung beträgt bei Schwerpunktartikeln etwa acht Monate. Damit erfüllt „Pflege & Gesellschaft“ den Standard wissenschaftlicher Qualitätssicherung – und bietet zugleich ein Forum, in dem auch kritische Diskussionen abgebildet werden.
Neu hinzugekommen ist die Möglichkeit, Beiträge „epub first“ zu veröffentlichen, also digital vorab online zugänglich zu machen. Damit reagiert die Redaktion auf den Wunsch nach schnelleren Publikationswegen.
Nachwuchs und Sichtbarkeit
Ein besonderes Anliegen ist die Förderung des Nachwuchses. Die Rubrik "Junge Pflegewissenschaft" gibt Raum für gekürzte Bachelor- und Masterarbeiten. So können Studierende erste Erfahrungen im Publizieren sammeln - ein entscheidender Schritt für wissenschaftliche Karrieren. Betreut wird diese Rubrik von der Sektion "Nachwuchs Pflegewissenschaft" der DGP.
Zugleich arbeitet die Redaktion daran, die Sichtbarkeit zu erhöhen. Während „Pflege & Gesellschaft“ bereits in Datenbanken wie CINAHL oder CareLit gelistet ist, fehlt bislang der Eintrag in PubMed – der international wichtigsten Datenbank. Ein Antrag läuft, die Chancen stehen gut. Sobald die Listung erfolgt, wird die Reichweite der Zeitschrift erheblich wachsen.
Kritik und Diskussion um die Mitgliederzeitschrift
Innerhalb der DGP wird derzeit diskutiert, ob „Pflege & Gesellschaft“ auch künftig die offizielle Mitgliederzeitschrift bleiben soll. Kritiker:innen verweisen auf lange Publikationszeiten und fehlende internationale Sichtbarkeit. Manche wünschen sich ein moderneres Medium, andere plädieren für stärkere Öffnung zur Praxis.
Die Redaktion betont dagegen die Stärken: wissenschaftliche Tiefe, thematische Breite, Identitätsstiftung für die Disziplin. Zudem seien viele Kritikpunkte bereits aufgegriffen – etwa durch digitale Vorabveröffentlichungen oder das geplante Editorial Management System, das den Review-Prozess effizienter machen soll.
Diese Diskussion zeigt exemplarisch, wie lebendig die Pflegewissenschaft ist: Es geht um die Frage, wie sich eine junge Disziplin organisiert, wie sie sich positioniert und welche Formen des Austauschs sie braucht.
Die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis
Ein immer wiederkehrendes Thema ist der Transfer in die Praxis. Pflegefachpersonen in Kliniken oder Heimen haben oft weder Zeit noch Zugang, lange wissenschaftliche Artikel zu lesen. Gleichzeitig betonen viele, dass Forschung ohne Praxisbezug ins Leere läuft.
„Wir brauchen Brücken zwischen Wissenschaft und Praxis. Pflegefachpersonen mit akademischer Ausbildung können diese Brücken schlagen.“
– Prof.in Dr.in Renate Stemmer
Die Lösung liegt vermutlich in einer doppelten Bewegung: Einerseits braucht es eine Pflegewissenschaft, die methodisch fundiert arbeitet und internationale Standards erfüllt. Andererseits braucht es Vermittlungsformate – sei es durch akademisierte Pflegefachpersonen im Team, durch Advanced Practice Nursing oder durch Wissenschaftskommunikation in anderen Formaten.
Die Zeitschrift selbst versteht sich weniger als Transfermedium, sondern als Forum für wissenschaftliche Grundlagen. Doch sie liefert die Basis, auf der Transferarbeit überhaupt erst möglich wird.
Themenvielfalt als Spiegel gesellschaftlicher Fragen
Ein Blick auf die Themenschwerpunkte der letzten Jahre zeigt die Spannbreite:
- Community Care und Primärversorgung
- Migration und Multikulturalität
- Gesundheitsförderung und Prävention
- Strukturentwicklung im Bildungssystem
- Künstliche Intelligenz und Digitalisierung
- Klimawandel und Pflege
Diese Themen verdeutlichen, dass Pflegewissenschaft weit über den Klinikalltag hinausgeht. Sie greift gesellschaftliche Entwicklungen auf, analysiert ihre Bedeutung für Versorgung und Pflegefachpersonen und trägt so zur öffentlichen Debatte bei.
Zukunftsperspektiven
Die Redaktion arbeitet kontinuierlich an Verbesserungen. So sollen kürzere Review-Zeiten, digitale Publikationswege, stärkere internationale Sichtbarkeit in den Fokus genommen werden. Gleichzeitig bleibt die Grundidee aber bestehen: ein Forum für Reflexion, Analyse und Diskurs.
Die Herausforderung der nächsten Jahre wird sein, die Balance zwischen wissenschaftlicher Strenge und gesellschaftlicher Relevanz zu halten. Pflegewissenschaft muss einerseits international anschlussfähig bleiben, andererseits nationale Besonderheiten sichtbar machen. Sie muss fundierte Grundlagen liefern und zugleich Impulse geben, die in Praxis, Politik und Bildung wirken.
„Pflege & Gesellschaft“ wird in diesem Prozess eine Schlüsselrolle spielen – als Spiegel der Disziplin und als Motor für ihre Weiterentwicklung.
Fazit
Die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft und die Zeitschrift „Pflege & Gesellschaft“ stehen exemplarisch für den Weg einer jungen Disziplin. Sie zeigen, wie wichtig es ist, eigene Strukturen zu schaffen, wissenschaftliche Standards einzuhalten und zugleich gesellschaftliche Relevanz zu entfalten.
Die aktuellen Diskussionen um Sichtbarkeit, Geschwindigkeit und Praxisnähe sind kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck einer lebendigen Auseinandersetzung. Pflegewissenschaft ist in Bewegung – und das ist genau das, was eine junge Disziplin braucht.
Schon Mitglied in der DGP?
Die Mitgliedschaft steht allen offen, die in der Pflegewissenschaft tätig sind oder einem pflegerischen Beruf angehören und an der Weiterentwicklung der Pflegewissenschaft interessiert sind. Auch Personen in Ausbildung oder Studium können Mitglied werden.

Der Jahresbeitrag beträgt 130 €. Für Auszubildende, Studierende, Teilnehmer:innen einer Weiterbildung, Arbeitslose sowie Ruheständler:innen gilt bei Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung ein ermäßigter Beitrag von 55 € pro Jahr.
Eine Mitgliedschaft bietet die Möglichkeit, sich fachlich einzubringen, Netzwerke zu nutzen und aktuelle Entwicklungen in Pflegewissenschaft und -praxis aktiv mitzugestalten.
Neu: Unser erster Videokurs ist da! 🚀
Wir haben endlich unseren ersten Videokurs veröffentlicht – und das Thema könnte kaum spannender sein: Pflegeforschung.
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