Politischer Neustart mit Nina Warken

Mit der Ernennung von Nina Warken zur neuen Bundesgesundheitsministerin beginnt eine neue Phase in der deutschen Gesundheitspolitik. Die CDU-Politikerin tritt ihr Amt in einer Zeit an, die von massiven Herausforderungen geprägt ist: dem anhaltenden Fachkräftemangel, dem Reformstau im Klinikbereich und dem politischen Wunsch nach Entbürokratisierung und Aufgabenverlagerung. Erste Äußerungen Warkens lassen erkennen, dass sie sich nicht scheut, Verantwortung zu übernehmen – und gleichzeitig an bestehenden Konzepten anknüpfen will.

Kernstück ihrer Agenda ist die Weiterentwicklung der Krankenhausreform. Zwar steht eine radikale Neuausrichtung offenbar nicht zur Debatte, jedoch sollen gezielte Korrekturen vorgenommen werden – vor allem in Bezug auf Versorgungsgleichheit im ländlichen Raum und Effizienzsteigerung durch Ressourcenzusammenlegung. Für Pflegefachpersonen ergibt sich daraus ein ambivalentes Bild: Einerseits eröffnet die Reform Chancen zur Neupositionierung im Versorgungsprozess, andererseits bleibt unklar, wie diese Chancen konkret ausgestaltet werden sollen.

Warken: “Die Beitragsspirale kann sich nicht ewig so weiterdrehen.”
Im Interview mit der FAZ hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken u.a. über die Finanzlage der Kranken- und Pflegekassen und die Kankenhausreform gesprochen.

Pflegegesetzgebung im Fokus

Im Zentrum der pflegepolitischen Pläne der neuen Ministerin steht das Pflegekompetenzgesetz. Gemeinsam mit dem Pflegefachassistenzgesetz und einem geplanten Gesetz zur Einführung der Advanced Practice Nurse (APN) soll es die Handlungsspielräume von Pflegefachpersonen erweitern. Dabei geht es nicht nur um Aufgabenverschiebung, sondern auch um echte Verantwortung: Pflegerische Diagnostik, therapeutische Entscheidungen und mehr Autonomie im Alltag sollen gesetzlich ermöglicht werden.

Diese Entwicklungen greifen die langjährigen Forderungen von Fachverbänden wie dem Deutschen Pflegerat (DPR) auf. Die Pflege soll nicht länger nur als „helfende Hand“ fungieren, sondern als professioneller, akademischer Gesundheitsberuf anerkannt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings die enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern – insbesondere bei Bildung, Finanzierung und Implementierung neuer Versorgungsmodelle.

ICN-Definition: Ein neues Selbstverständnis der Pflege

Parallel zur politischen Bewegung fand beim ICN-Kongress in Helsinki ein bedeutender Paradigmenwechsel statt: Die internationale Definition von „Nursing“ und „Nurse“ wurde grundlegend überarbeitet. Diese Neuerung ist mehr als semantische Kosmetik – sie stellt ein neues, zukunftsgerichtetes Rollenverständnis von Pflegefachpersonen in den Mittelpunkt.

Die neue Definition rückt Pflege als strategische, ethisch fundierte und systemgestaltende Kraft ins Zentrum. Sie betont die Verantwortung für Gesundheitsförderung, Prävention und systemische Veränderung. Pflegefachpersonen werden nicht mehr nur als Ausführende ärztlicher Anordnungen verstanden, sondern als autonome, interdisziplinär agierende Gesundheitsprofessionelle. Dabei wird besonderer Wert auf kulturelle Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gelegt.

Renewing the Definitions of ‘Nursing’ and ‘a Nurse’

Vom Reagieren zum Gestalten

Im Vergleich zur alten Definition aus dem Jahr 2002 stellt die neue ICN-Fassung eine klare Weiterentwicklung dar. Während früher die klinisch-praktische Tätigkeit im Vordergrund stand, betont die neue Definition den gesellschaftlichen Auftrag der Pflege. Sie macht deutlich: Pflege ist kein verlängerter Arm anderer Professionen, sondern ein eigener, handlungsfähiger Akteur im Gesundheitswesen. Diese Perspektive spiegelt sich auch in Begriffen wie „cultural safety“, „therapeutische Beziehung“ und „Public Health“ wider, die explizit benannt und operationalisiert werden.

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Begriff der Autonomie: Pflegefachpersonen sollen eigenverantwortlich, reflektiert und ethisch geleitet handeln – nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit anderen Professionen. Das eröffnet neue Möglichkeiten, stellt aber auch Anforderungen an Ausbildung, Organisation und rechtliche Absicherung.

Gesundheitsminister:innenkonferenz: Pflege im Fokus

Die Gesundheitsminister:innenkonferenz (GMK) fand zum Zeitpunkt der Podcastaufnahme gerade statt. Auch wenn konkrete Beschlüsse zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorlagen, war die inhaltliche Richtung klar: Pflege nimmt zunehmend eine zentrale Rolle in der gesundheitspolitischen Debatte ein.

Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), nutzte das Pressegespräch im Vorfeld der GMK, um zentrale Forderungen zu platzieren. Sie sprach sich für eine strukturierte Beteiligung der Pflege an politischen Entscheidungsprozessen aus und forderte:

  • Die verbindliche Einbindung der Pflegeprofession in die geplante Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform.
  • Die Nutzung des BAPID-II-Rahmens als einheitliche Bildungsgrundlage für alle Bundesländer – als Hebel für Entlastung und Qualitätssteigerung.
  • Die Stärkung von Pflegekammern, wo diese bereits bestehen oder im Aufbau sind, um pflegefachliche Selbstverwaltung zu fördern.
  • Die dauerhafte finanzielle Förderung des Deutschen Pflegerats über das Jahr 2025 hinaus.

Auch die Vorsitzende der Konferenz, Katharina Schenk (Thüringen), reagierte im Vorfeld positiv auf diese Impulse. Sie betonte, dass Pflege sowohl in urbanen wie auch ländlichen Regionen unverzichtbar sei. Sie lobte die bisherige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und sicherte zu, dass zentrale Gesetzesinitiativen wie das Pflegekompetenzgesetz und das APN-Gesetz mit Nachdruck weiterverfolgt werden.

Schenk verwies zudem auf bereits eingebrachte Änderungsanträge der Länder und betonte die Bedeutung interprofessioneller Zusammenarbeit. Sie machte deutlich: Pflege ist nicht mehr nur Teil des Gesundheitssystems – sie ist tragende Säule und Gestalterin.

Neuer Schwung durch neue Rollenbilder

Was bedeutet all das für die berufliche Praxis von Pflegefachpersonen? Vor allem eines: ein Wandel im Selbstverständnis. Die neue ICN-Definition und die politischen Reformen rahmen ein Berufsbild, das mehr ist als Fürsorge. Es geht um Führung, um Verantwortung, um systemisches Denken. Pflegefachpersonen sollen Räume gestalten, Entscheidungen treffen, Gesundheit mitentwickeln.

Dieser Wandel hat direkte Auswirkungen auf die Ausbildung. Curricula müssen Kompetenzen in Ethik, Kommunikation, Wissenschaft und Systemgestaltung integrieren. Gleichzeitig braucht es institutionelle Unterstützung, damit Pflegefachpersonen ihre erweiterten Rollen auch ausfüllen können – von gesetzlichen Grundlagen über Fortbildungen bis hin zu strukturellen Veränderungen in Einrichtungen.

Fazit: Pflege auf dem Sprung

Pflege in Deutschland steht an einem Wendepunkt. Mit Nina Warken, dem neuen Pflegekompetenzgesetz und der ICN-Definition rücken Verantwortung, Autonomie und Systemgestaltung ins Zentrum des Berufs. Die Zeit der reaktiven Pflege ist vorbei – jetzt geht es darum, aktiv mitzugestalten.

Doch dieser Wandel braucht mehr als politische Willensbekundungen. Er erfordert konkrete Ressourcen, eine offene Fehlerkultur, Vertrauen in die Profession – und eine mutige Vision. Denn nur wenn Pflegefachpersonen ihre Rolle wirklich leben können, wird sich das Potenzial dieser Reformen entfalten.

📰 Kurznachrichten

Neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung

Katrin Staffler (CSU) ist die neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Sie folgt auf Claudia Moll (SPD). Staffler will sich für eine verlässliche, unbürokratische und selbstbestimmte Pflege starkmachen. Ernennung und Aufgabenverteilung erfolgten durch Gesundheitsministerin Warken.

Kabinett beruft neue Beauftragte der Bundesregierung
Das Bundeskabinett hat Prof. Dr. Hendrik Streeck (CDU), Katrin Staffler (CSU) und Stefan Schwartze (SPD) als Beauftragte der Bundesregierung berufen.

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